DIE WOLKE DER UNWISSENHEIT / JE KOMPLEXER DESTO HÄ

Animation, Farbe, 1920×1440, 25fps, 4:3, 1:00 min


David Bowie hat schon 1999 die Auswirkungen des Internets erahnt. In einem Interview mit der BBC sagte er: „I don‘t think we have even seen the tip of the iceberg. The potential of what the internet is going to do to society – both good and bad – is unimaginable. I think we are actually on the cusp of something exhilarating and terrifying.“ Auf die Frage des Interviewers: „It‘s just a tool though, isn‘t it?“ antwortete Bowie: „No, it‘s not. It‘s an alien lifeform.“

Bis heute ist das Internet zu großen Teilen unnahbar wie eine außerirdische Lebensform. Begriffe wie “Verstehen” oder “Kontrolle” klingen deplaziert, ja fast anachronistisch während die Tech-Riesen ihre Cloud-Kapazitäten ausbauen. James Bridle schreibt im Vorwort zu „New Dark Age“: „The ability to think without claiming, or even seeking, to fully understand is key to survival in a new dark age because, as we shall see, it is often impossible to understand.“ Vorteile haben also die, die keinen Anspruch mehr auf das vollständige Verstehen haben, weil dieses ohnehin nicht erreichbar ist. Das ist ernüchternd.

Es scheint, als hätte sich zwischen uns und der digitalen Welt etwas vernebelt. Es scheint, als gäbe es ein schiefes Machtverhältnis, als wäre digitale Intransparenz die Norm geworden und als wären Menschen konzeptionell entkoppelt und entmächtigt von der digitalen Welt, die sie täglich umgibt. Es ist, als wäre das Versprechen vom „Personal Computing“ schleichend zu einem „Unknown Computing“ verkommen. Dabei ist Kontrolle über die eigenen Werkzeuge Vorraussetzung für eine offene und freie Gesellschaft.

Ich stelle mir die Frage, ob und wie Technologie einfach und kontrollierbar werden kann. Kann aus dem vernebelten Datenchaos der Clouds etwas Nachhaltiges entstehen? Kann Digitalität so vereinfacht sein, dass sie als natürliches Werkzeug für alle taugt? Kann sich der digitale Nebel wieder auflösen?

Cloud

Während der Begriff „Cloud“ ursprünglich die Wolke im meteorologischen Kontext beschreibt, wurde er in den vergangenen Jahrzehnten auch zu einem Begriff für einen undefinierten, technischen Ort. Die Cloud wurde ein Symbol, das den Zweck hat die Komplexität in der Technik scheinbar zu verringern. Alles, was eine möglicherweise überfordernde Vielseitigkeit beinhaltet, kann zu dem Symbol der Cloud zusammengefasst werden – aus den Augen, aus dem Sinn.

Die Cloud, das ist der obskure Ort, der komplex ist, aber einfach scheint. Es ist der Ort, an dem Technik, Daten und Berechnungen weggesperrt und stattdessen mit einem marketingtauglichen Label versehen sind. Die Cloud suggeriert Einfachheit und Transparenz, die sie aber per Definition nie einlösen kann. Als Konzept und Metapher ist die Cloud somit auch als Kapitulation vor der technischen Komplexität zu verstehen.

James Bridle beschreibt die Cloud als „central metaphor of the internet“, als ein System von großer Macht, aber gleichzeitig unmöglich zu greifen. Die Metapher ist laut ihm aber eine Schlechte – denn nichts an der Cloud ist schwerelos oder amorph. Es ist vielmehr eine physikalische Infrastruktur, bestehend aus weltumspannenden Leitungen und riesigen Hallen voller Computer, die unter einer bestimmten Jurisdikation stehend riesige Mengen an Energie verbrauchen. Die Cloud, sie ist ein Widerspruch.

Die vorherrschenden technologischen Abhängigkeiten und unternehmerische oder staatliche Machtinteressen manifestieren sich am offensichtlichsten in der Funktionsweise der Cloud. Die Hintergründe, das Physikalische, das Hinterfragbare und Greifbare bleibt im Konzept der Cloud konzeptionell verborgen und nur für Entwickler*innen zugänglich. Gleichzeitig funktionieren viele moderne Geräte nur in Abhängigkeit zur Cloud – ohne Verbindung, keine Funktion.

Es mag nicht verwundern, dass Unternehmen, die diese Abhängigkeiten aufbauen, auch die ökonomisch wertvollsten Unternehmen der Welt sind. Sie verwalten die digitalen Leben von Milliarden Menschen – ihre Kommunikation, Finanzdaten, medizinischen Aufzeichnungen, persönliche Daten und Ideen, Aufzeichnungen über Wünsche und Bedürfnisse, Erfahrungen, Präferenzen oder Wahlergebnisse – all das hinter dem Bild einer fluffigen Wolke.

Dazu wieder Bridle: „Absorbed into the cloud are many of the previously weighty edifices of the civic sphere: the places where we shop, bank, socialise, borrow books, and vote. Thus obscured, they are rendered less visible and less amenable to critique, investigation, preservation and regulation. […] The cloud is a power relationship, and most people are not on top of it.“

Das Konzept der Cloud ist zu verschleiern, dass ihr Inhalt komplex ist. Sie gibt uns den Eindruck der Kontrolle, wo wir keine haben. Sie führt uns an der Nase in eine Abhängigkeit, ohne dass man wirklich ein Bild davon hat, wovon man eigentlich abhängig ist. Die Cloud ist ein trojanisches Pferd, das uns die Errungenschaften der offenen Gesellschaft hinterrücks wieder zu entziehen droht.

Über den Titel

„The Cloud of Unknowing“ ist ein Text, der im 14. Jahrhundert von einem unbekannten Mönch verfasst wurde. Er beschreibt in einem christlich-religiösen Kontext, dass Gott am besten erfahrbar werden würde, wenn man das Hinterfragen von Gott beenden würde und die Unwissenheit akzeptiere. Zwischen den Menschen und dem göttlichen läge die Wolke der Unwissenheit, die, so man sie akzeptiert, die eigentliche göttliche Erfahrung erst ermögliche.

Die Aneignung dieses Titels für dieses Projekt eröffnet interessante Parallelen im digitalen und nicht-religiösen Kontext. Tech-Unternehmen hüten ihre Geheimnisse und verschleiern Prozesse in der Cloud – sie haben ein Interesse an der unhinterfragten Gläubigkeit an ihre Produkte, wie es einst der Autor von „The Cloud of Unknowing“ im Bezug auf einen Gott beschrieb. Eine Kontrolle, sei es in Form der Nutzer*innen oder in Form einer Wettbewerbsaufsicht, ist nicht erwünscht. In diesen digital-proprietären Angeboten entsteht ein Machtverhältnis zwischen Menschen und der Institution, das sich durch und mit der Cloud manifestiert. Die Cloud wird zur undurchdringbaren Barriere zwischen zwei Machtpolen.

Es gibt auch ein Lied der Band „Tocotronic“, das den selben Titel trägt. Darin wird ein Aufbegehren beschrieben: „Der Glanz des Kampfs der Massen auf den Straßen“, aber gleichzeitig auch die Resignation und Selbstauflösung vor dem Gefühl der Unwissenheit. Durch die für Tocotronic übliche Vieldeutigkeit, kann es kann auch als Liebeslied gehört werden, in dem zwei Personen nur über die allgegenwärtige Wolke der Unwissenheit zueinander finden.

Die Notwendigkeit der Überprüfbarkeit

Die Technik der 3D Animation ermöglicht Darstellungen von Ereignissen, die sonst visuell verborgen bleiben würden. Die Elektrizität, die sonst unsichtbar durch den Chip fließt, wird auf diese Weise in ein Leuchten umgesetzt, das einen direkten Einblick in die simulierte Funktionsweise des Chips ermöglicht. Dadurch wird visuell ablesbar, was der Chip gerade macht. Alle Menschen, die der binären Zählweise mächtig sind, können so die Daten, die auf dem Chip gespeichert sind, lesen und decodieren.

Um konkret zu werden: Wenn man die Signale entschlüsselt, stößt man auf die Grundsätze der Hackerethik. Sie propagieren die Notwendigkeit von Offenheit und Freiheit in der Technik. Gleichzeitig verhandelt die Animation mit diesen Informationsdarstellungen auch das Thema des Vertrauens: auf der einen Seite sind die sonst verborgenen Daten so direkt wie möglich sichtbar und überprüfbar – die Funktionsweise liegt offen vor den eigenen Augen; auf der anderen Seite kann erst die Überprüfung und Dekodierung der Daten die absolute Gewissheit geben. Bis dahin ist es eine Behauptung. Damit spielt selbst bei dieser scheinbar absoluten Transparenz die Entkopplung zwischen Daten und einem Selbst eine wichtige Rolle und beschreibt damit das Phänomen, das die Motivation für dieses Projekt darstellt.

Wie weit muss oder kann das Digitale vereinfacht werden, damit es transparent und einfach lesbar wird? Kann komplexe Technik auf eine Weise stattfinden, sodass alle ihre Nutzer*innen sie unter Kontrolle haben? Sollten technische Prozesse immer hinterfragt werden müssen? Wem ist zu vertrauen, und wem nicht?

Wer sich in einer vernetzten, digitalisierten Welt zurechtfinden möchte, muss akzeptieren, dass nicht alles verstanden werden kann. Aber ohne dem Wunsch, es trotzdem zu tun, wird man zum Spielball der Systeme. Bei Tocotronic heißt es: „Die Wolke der Unwissenheit, wird für immer bei uns sein.“

Dieser Text ist ein gekürzter Ausschnitt aus meiner Masterarbeit “Je komplexer, desto hä”

Dank

Dank an Rainer Wölzl für die jahrelange, freudenmachende Unterstützung, Michael Troll für die großzügige Hilfe beim Sounddesign, Brent Patterson für das Teilen seines Wissens über Cloud-Shader, Ian Hubert für die besten Tutorials, sowie die gesamte Blender Community.

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